Press enter to begin your search
 

Making of … Der Traum von Rapa Nui

carlafederico-rapanui
Wissenschaftliche Literatur zum Thema:
Karlo Huge Atan: Kultur, Philosophie, Geschichte der Osterinsel, Köln 1999
Sebastian Englert: Das erste christliche Jahrhundert der Osterinsel (1864-1964), Frankfurt am Main 1996
Martina Ehrlich: Rapa Nui – großer, weiter Flecken, Frankfurt 1998
Hermann Fischer: Schatten auf der Osterinsel – Ein Plädoyer für ein vergessenes Volk, Oldenburg 1998
Steven Roger Fischer: Island at the End of the World – The turbulent history of Easter Island, Chicago 2006
Horst Gatermann: Die Osterinsel – Eine Insel im Einflussbereich zweier Kulturen, Hagen 1996
Hermann Holzbauer: Missionsgeschichte der Osterinsel, Eichstätt 1988

Wer von der Osterinsel hört, assoziiert das entlegenste Eiland der Welt meist mit seinen berühmten Statuen – den Moais. Bis heute umgeben diese viele Geheimnisse: Welchen Zweck erfüllten sie? Warum wurden so viele umgestoßen? Wie gelang es den Menschen, diese Kolosse zu transportieren – eine Frage, die umso lauter wird, da auf Rapa Nui keine Wälder wachsen? Oder verursachte der Bau der Statuen überhaupt erst den Mangel an Holz, wurden die Bäume doch für ihren Transport gefällt?
Nicht minder rätselhaft sind die bis heute nicht entschlüsselte Rongorongo-Schrift, die Kultstätten der Rapanui – Ahus genannt – oder der Vogelmannkult. Ganze Bücher gehen diesen Themen nach und versuchen weitere offene Fragen zu klären – so u.a., woher das Volk der Rapanui stammt und warum es vor einigen hundert Jahren zum Krieg zwischen den beiden Rassen, den Lang- und Kurzohren, kam.
Wissenschaftliche Theorien, die mit archäologischen Funden belegt werden, lassen sich ebenso zahlreich finden wie mancher esoterische Erklärungsversuch. Einigkeit besteht nur in einer Sache: Die Insel Rapa Nui ist ein ebenso außergewöhnlicher wie mystischer Ort.
Weitaus weniger mysteriös, sondern schlichtweg traurig ist ein anderer Aspekt von Rapa Nuis Geschichte: Das Leid ihrer Bevölkerung nach der Entdeckung durch die westlichen Seeleute.
Man kann das 19. und die erste Hälfte des 20. Jahrhundert zurecht als „dunkle Zeit“ für die Menschen und die Kultur der Osterinsel bezeichnen: Sklavenhändler verschleppten systematisch große Teile der Bevölkerung – darunter auch die letzten Gelehrten, die die Rongorongo-Schrift beherrschten. Nur eine Minderheit sah Jahre später ihre Heimat wieder, und diese wenigen brachten Krankheiten mit – die Tuberkulose und die Lepra -, die die verbleibenden Rapanui noch mehr dezimierten. Politisches Interesse gab es an der Insel kaum – weder England noch Frankreich erachteten sie als attraktiv genug, um sie ihren Kolonialreichen einverleiben. In Chile sah das kurzfristig anders aus: Nicht zuletzt aus Gründen der Eitelkeit, wollte man doch den Ruf als einzige Imperialmacht Südamerikas untermauern, entschied man sich 1888 für die Annexion – übrigens über die Köpfe der Einheimischen hinweg -, doch nur, um danach festzustellen, dass Rapa Nui für eine systematische Kolonisierung zu entlegen war und sie dem Einflussbereich großer Schafkompanien zu überlassen.
Diese sahen in der Insel nichts weiter als eine große Farm, die man rücksichtslos ausbeuten konnte. Die Ureinwohner galten bestenfalls als billige Arbeitskräfte, die – ihrer Rechte entraubt – in ihrer Hauptstadt Hanga Roa hinter Stacheldrahtzäunen eingepfercht wurden.

Erst 1917 wurde die Insel dem chilenischen Recht unterstellt, und seit diesem Jahr entsandte der Staat auch einen Polizeipräfekten nach Rapa Nui. Doch auch von diesen war nicht viel zu erwarten, blickten sie auf die Rapanui doch meist verächtlich herab und blieben für ihr Leib blind. Die Einzigen, die dann und wann den Fokus der Öffentlichkeit auf das Schicksal der Rapanui lenkten, waren Kirche und Presse. Manchmal gelang es ihnen kurzfristig, öffentliche Empörung hervorzurufen, und dann wurden einige Versuche gestartet, ihr Los zu ändern. Aber letztlich war die Insel zu weit vom Festland entfernt, um im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bleiben, so dass sich an den Zuständen nie etwas Grundlegendes änderte.
1966 erlangten die Rapanui zwar die Freiheit, doch auf eine Wiedergutmachung für all das erlittene Unrecht warten sie bis heute vergebens, fehlt in Chile doch das entsprechende Unrechtsbewusstsein. Dass die Osterinsel vor allem mit den rätselhaften Steinstatuen assoziiert wird, die im Laufe des 20. Jahrhunderts wieder aufgestellt worden sind, erleichtert den Verdrängungsprozess: So stehen nämlich immer längst vergangene Zeiten im Blickpunkt, nicht die unmittelbare Vergangenheit. Und so reduziert man Rapa Nui überdies auf eine Touristenattraktion, anstatt es als Mahnung für mehr Respekt und Menschlichkeit zu betrachten.
In meinem Buch wollte ich meinen Fokus auf dieses vergessene Unrecht bzw. das Leiden der Rapanui lenken. Er spielt in den Jahren von 1886 bis 1893 und zeichnet exemplarisch diverse Entwicklungen nach, die auch in den folgenden Jahrzehnten das Leben auf der Osterinsel prägten: die Annexion durch Chile, das Scheitern der Kolonisierung, die rücksichtslose Ausbeutung der Insel durch die Schaffarmer und Archäologen, aber auch der wachsende Widerstand der Rapanui.
Der „Traum“ von Rapa Nui bedeutet in diesem Kontext weniger, von einem exotischen, unberührten und geheimnisvollen Sehnsuchtsziel zu träumen, sondern vielmehr von einem Leben, das sich die Menschen überall – ob in belebten Städten oder einsamen Eilanden – erhoffen: ein Leben in Freiheit, in Friede und in Würde.