Eine der ersten Frauen in der Geschichte, die sich für Kinderrechte stark gemacht hat, ist die italienische Ärztin und Pädagogin Maria Montessori, die für nichts Geringeres als „die Entdeckung des Kindes“ steht.
In ihrem Buch „Kinderrechte – Die soziale Frage des Kindes“ behandelt sie u.a. das Recht auf Bildung und verknüpft dieses mit dem Appell, dass allen Kindern Respekt und Förderung zusteht.
Ziel von Bildung ist für sie dabei weitaus mehr als gesammeltes Wissen. Die Kinder sollen ihre Persönlichkeit und Kreativität frei entfalten können, interdisziplinär und über den Tellerrand hinaus zu denken lernen. Das wiederum geschieht in eine Atmosphäre, die von Wohlwollen, Liebe und Empathie geprägt ist.
Erstmalig umgesetzt wird ihr pädagogisches Konzept in dem 1907 gegründeten Kinderhaus im armen römischen Stadtteil San Lorenzo. Es folgen rasch ähnliche Einrichtungen.
Dass die Montessori-Pädagogik und das dahinterstehende Menschenbild, wonach Kindern klar definierte Rechte zugesprochen werden, auch in Deutschland Verbreitung findet, ist wiederum Clara Grunwald zu verdankend, der ersten Vorsitzenden derDeutschen Montessori-Gesellschaft, die in Berlin nach italienischem Vorbild mehrere Volkskinderhäuser gründete.
Clara Grunwalds Biografie weist etliche Lücken auf – für wesentliche Lebensabschnitte fehlen Quellen. So sind aus der Kindheit und Jugend keine belegbaren Dokumente bekannt, und über das private Leben dieser couragierten Pädagogin existieren nur wenige Briefe, die den zweiten Weltkrieg überdauert haben.
Eine der wenigen bekannten Episoden ist, dass Clara Grundwald einmal ein Adoptivkind aufnahm: die kleine Baila Gerson, geborene Helmenreich genannt, die als kleines Kind auf der Flucht vor Pogromen aus Polen nach Berlin kommt. Die als ‚hoffnungslos schlecht’ eingestufte Schülerin wird in den 20er Jahren Clara Grunwald vorgestellt, die sich dem Mädchen mit viel Einfühlungsvermögen widmet und schließlich zu ihrer Ersatzmutter wird.
Deutlich mehr als über ihr Privatleben wissen wir von ihrem Einsatz für die Montessori-Bewegung.
Mit Unterstützung ihrer Freundin Elsa Ochs bringt sie die Ideen Maria Montessoris in die allgemein pädagogische Reformdiskussion ein und setzt damit neue Akzente: Die Pädagogik soll vom einzelnen Kind ausgehen und seine optimale individuelle Entwicklung – immer auch eine zur Selbstständigkeit hin – fördern. Als sie die ersten Montessori-Kinderhäuser in Berlin gründet, geschieht das noch mit Unterstützung Maria Montessoris. Später wendet sich diese allerdings enttäuscht von der deutschen Montessori-Bewegung ab, bewertet sie selbige doch als sozialistisch unterwandert. Für Clara ist das eine herbe Enttäuschung, wenngleich sie ihren Idealen treu bleibt. Ein weitaus schlimmerer Rückschlag ist 1933 die Machtergreifung Adolf Hitlers, die Grunwalds Wirken ein jähes Ende setzt.
Für Clara Grunwald hat ihre jüdische Abstammung lange Zeit keine Rolle gespielt. Nun aber tritt sie wieder in die jüdische Gemeinde ein und engagiert sich bei der Unterstützung, der Versorgung und Auswanderungshilfe jüdischer Kinder und Familien. Freunde tragen Clara Grunwald selbst immer wieder die Emigration an. Doch sie lehnt das ab, erklärt, dass sie ihre internationalen Kontakte erst dann für sich selbst nutzen will, wenn sie dem allerletzten Juden hinausgeholfen hätte. Im Herbst 1943 wird sie nach Auschwitz deportiert, wo sie kurz nach der Ankunft ermordet wird.
Auch sie hat der Welt ein Vermächtnis hinterlassen: Nach dem 2. Weltkrieg beginnt in der Bundesrepublik Deutschland eine Phase des Aufbaus, die auch den schulischen Bereich betrifft, und hierbei wird weitgehend an die Konzepte von 1933 angeknüpft. Schon 1946 wird an einer Volksschule wieder Montessori-Klasse eingerichtet. Weitere Schulen ziehen nach, und 1947 wird das erste Montessori-Kinderhaus im Nachkriegsdeutschland eröffnet, dem viele weitere folgten.
Auf meiner Recherche in Berlin hat es mich sehr bewegt, dass man dort, wo sich die erste Montessori-Kinderhäuser befanden – in Lankwitz, Friedrichshain oder im Wedding -, nun wieder Schulen antrifft. Vor Ort erinnern Gedenktafeln an Clara Grundwalds Wirken – aber ein Zeichen, dass ihr Geist lebendig ist, ist in meinen Augen eher das Kinderlachen, das man hört.