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Ugolino della Gherardesca

Wer meinen Roman noch nicht gelesen und sich nicht weiter mit dem Schicksal der Familie Gherardesca beschäftigt hatte, sollte an dieser Stelle nicht weiterlesen und sich mit einer der grausamsten Episoden aus Pisas Geschichte beschäftigen, denn es besteht akute SPOILERGEFAHR!

Graf Ugolino war ab 1284 Podestà der Stadt Pisa. Von masslosem Ehrgeiz getrieben, strebte er mittels wechselnder Bündnisse nach der Herrschaft über die Stadt, wobei er jedoch letztlich das Vertrauen aller Parteien verlor und 1289 von Erzbischof Ruggiero gestürzt wurde. Dieser ließ ihn, zwei seiner Söhne und zwei seiner in einen Turm sperren, dessen Schlüssel in den Arno werfen und die Gefangenen auf diese Weise verhungern.

Diese Geschichte – so plastisch dargestellt in Dantes Inferno, wo Ugolino am Ende seine eigenen Nachkommen frisst – gab letztlich den Ausschlag, einen Roman über die Entstehung des Schiefen Turms zu schreiben und diese mit dem Schicksal der Gherardesca zu verknüpfen.

Für meine Recherchen konnte ich zum einen auf historische Quellen zurückgreifen, obwohl diese oft widersprüchlich sind: Manchmal wird Ugolinos Enkel Nino il Brigata eine Ehefrau namens Capuana angedichtet, obwohl diese wahrscheinlich die zweite Gattin seines Großvaters war. Überdies sind historische Tatsachen oft mit Legenden verknüpft worden, wie sich insbesondere um einen der wenigen überlebenden Nachkommen Ugolinos, seinen Urenkel Guelfuccio, ranken.

Zum anderen erwiesen sich die Studien von Francesco Mallegni als sehr hilfreich. Der italienische Archäologe und Anthropologe hat im Jahre 2002 die Überreste Ugolinos und seiner Nachkommen mittels DNA-Analysen identifiziert und anhand der Knochen Ugolinos Gesicht (sieh oben) rekonstruiert. Die forensische Analyse spricht übrigens gegen den Kannibalismusvorwurf: Die Untersuchung der Rippenknochen des Ugolino zugeschriebenen Skeletts ergab Spuren von Magnesium, nicht aber von Zink, das vorhanden sein müsste, wenn der Tote in den Wochen vor seinem Tod Fleisch verzehrt hätte. Zudem war er ein Mann von über siebzig Jahren und zum Zeitpunkt seiner Gefangenschaft nahezu zahnlos, was es noch unwahrscheinlicher macht, dass er seine jüngeren Mitgefangenen überlebt und von ihrem Fleisch gegessen haben könnte. Nachweisen hingegen ließ sich, dass die fünf toten Männer bereits etliche Monate vor ihrem Tod an Mangelernährung litten – was mit der Tatsache übereinstimmt, dass sie bereits im Juli 1288 inhaftiert wurde. Woran sie letztlich starben lässt sich aufgrund der Knochenanalyse allein nicht ausmachen, zumal Stichwunden nicht zwangsläufig an einem Skelett dieses Alters nachzuweisen sind – was mir erlaubte, die Gherardesca einen etwas gnädigeren Tod als den Hungertod erleiden zu lassen …