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Die arabische Medizin des Mittelalters

Die arabische Medizin des Mittelalters

„Am Tage des Gerichts wird die Tinte der Gelehrten dem Blut der Märtyrer gegengewogen und wiegt schwerer!“, lautet ein Ausspruch des Propheten. An anderer Stellen hält Mohammed die Gläubigen an, von der Wiege bis zum Grab nach Wissen zu streben, denn: „Wer sich zur Suche nach Wissen auf die Reise begibt, wandert auf Allahs Weg zum Paradies.“
Wissenschaften spielten im mittelalterlichen Islam deswegen eine sehr große Bedeutung. Die Medizin nahm unter ihnen den höchsten Rang ein, sie galt als „die trefflichste, gewichtigste und nützlichste Wissenschaft“, weil alle Menschen ihrer bedürften.

Berühmte arabische Ärzte wie Ibn Sina (Avicenna), ar-Rāzī (Rhazes), Ibn Butlān oder Abu l-Qāsim (Abulcasis) bewahrten in der „Hoch-Zeit“ der arabischen Medizin, die zwischen dem 8. und 12. Jahrhundert anzusiedeln ist, nicht nur das Erbe der Antike. Sie erweiterten und konkretisierten es überdies – nicht zuletzt dank persischer, indischer und chinesischer Einflüsse. Ob der umfangreichen Rezeption ihrer Schriften, prägten ihre Erkenntnisse über lange Zeit die Medizin im lateinischen Westen.

Diese arabischen Ärzte waren meist Universalgelehrte, die sich zwar als säkulare, überkonfessionelle Wissenschafter verstanden, aber einen über die reine Naturwissenschaft hinausgehenden Ansatz vertraten. Die Medizin, die sie praktizierten, war immer auch Philosophie: ihre Abhandlungen thematisierten nicht nur Krankheiten und ihre Behandlung, auch ethische wie spirituelle Fragen nach der rechten Lebensweise.

Natürlich klingen manche ihrer Sichtweisen und Behandlungsmethoden skurril bis rabiat. Eine im achten Monat schwangere Frauen muss nicht vermeiden zu niesen, es gibt bessere Mittel bei Angina, als das Gurgeln mit Brombeerblättern und Hundescheiße, die Leber kocht die Speisen im Magen nicht und Depressionen kuriert man besser nicht mithilfe der Liebesdienste einer Sklavin.
Doch so veraltet manche Ansätze sein mögen – die hochkultivierte Lebensordnungslehre, die damals erarbeitet wurde und deren Ziel es nicht nur war, Krankheiten zu besiegen oder den Tod so lange wie möglich in Schach zu halten, vielmehr den Mensch bei seinem Streben nach Gesundheit – das immer auch als Streben nach Glück galt – zu begleiten, ist sehr aktuell.

Ein ganz wesentlicher Grundsatz der arabischen Medizin war es, nicht nur Augenmerk auf den Körper, sondern auch auf die Seele zu legen.
Damit der Mensch von einer Krankheit geheilt werden kann, muss seine Seele möglichst positiv gestimmt sein. Der Arzt hat dementsprechend vertrauensvoll und behutsam mit dem Kranken umzugehen, alle schlechten Gefühle von ihm fernzuhalten, jeden Widerstand gegen eine Behandlung zu beseitigen (z.B. indem schlecht schmeckende Arzneien mit einem Zuckerguss überzogen werden, sodass sie nicht nur gut schmecken, auch ansehnlich sind).
Überdies folgt man der Überzeugung, dass Seele und Körper den Schmerz des jeweils anderen empfinden, dass also eine Krankheit des Körpers die Seele oder umgekehrt eine kranke Seele den Körper leiden lässt. In diesem Fall gilt es nicht nur äußere Symptome zu behandeln, sondern auch die inneren Ursachen, die meist mit starken Gefühlen – Zorn, Kummer, Angst, maßlose Liebe, Ungeduld, Jähzorn etc. – zu tun haben.
Schließlich gilt ein besonderes Interesse den rein seelischen Leiden: In der arabischen Medizin des Mittelalters wurde wichtige Pionierarbeit für die moderne Psychotherapie geleistet. Man experimentierte mit Musik-, Geruchs- und Bewegungstherapie, teilweise auch mit Schocktherapie.

Wie erwähnt kommt großes Gewicht generell der Prophylaxe zu, folglich nicht die Wiederherstellung, sondern die Erhaltung des Gleichgewichts von Körper und Seele.
Dabei spielen ausreichend frische Luft eine Rolle – diverse Mittel zur Raumdesinfektion und Luftverbesserung wurden erfunden –, ausreichende Bewegung und genügend Schlaf, den man z.B. durch das Engagieren eines Geschichtenerzählers garantieren kann.

Wesentlicher Bestandteil eines „gesunden Lebens“ ist schließlich die Ernährung, bei der es eine „gesunde Mitte“ zu finden gilt. Grundsätzlich wird kein Nahrungsmittel als komplett verboten eingestuft. Bei jedem einzelnen gilt es vielmehr Nutze und Schaden abzuwägen und auch die jeweilige Veranlagung des Menschen berücksichtigen.
Zugleich werden Tipps gegeben, wie man sich denn selbst davon überzeugen kann, gesünder zu essen, z.B. „Sieh dir das Essen einmal an, wenn es sich am nächsten Tag verändert hat!“
Bei richtiger Ernährung, kann man sich darauf verlassen, dass die Natur weitgehend alles richtig macht. Gibt es mal Schwierigkeiten – z.B. bei der Verdauung – soll man nicht gleich medikamentös nachhelfen, denn: „Wer sein Reittier dazu anleitet, nur auf den Sporenstoß zu laufen, dem wird es ständig stehen bleiben.“

Die arabische Medizin trug ferner zur Institutionalisierung des Krankenhauswesens bei. Die ersten säkularen Krankenhäuser gab es im in den arabischsprachigen Ländern des Mittelalters. Dort wurden Patienten jeden Glaubens von Ärzten jeden Glaubens behandelt, und das in verschiedenen Abteilungen (für Liebeskranke gab es eine eigene) sowie in einem möglichst gesunden Umfeld (Haine, Springbrunnen und eine ausgefeilte Bewässerungsanlage sorgten z.B. für frische Luft).