1. Liebe Carla Federico, Deine dreibändige Chile-Saga hat Hunderttausende LeserInnen begeistert. Was hat Dich dazu bewogen, Chile zu „verlassen“ und Dich nach Uruguay zu begeben?
Ich habe einen interessanten Artikel über die wirtschaftlichen Beziehungen von Uruguay und Europa im 19. Jahrhundert gelesen und mein Wissen darüber bald vertieft. England wollte die La-Plata-Länder (Argentinien, Uruguay und Paraguay) zunächst zu Kolonien machen, ist aber militärisch gescheitert. Deswegen wurde – um dennoch Einfluss auf diese Region zu nehmen – ganz auf den Handel mit diesen Ländern gesetzt, in den v.a. auch deutsche Kaufleute eingestiegen sind.
Davon ausgehend reifte in mir die Idee, diese Entwicklung exemplarisch anhand zweier fiktiver Familien und deren geschäftlichen sowie persönlichen Verbindungen zu erzählen: den Gothmanns, einer Frankfurter Bankiersfamilie, und den de la Vegas, einer Kaufmannsfamilie aus Montevideo.
Während ich mich in meinen Chile-Romanen mit dem Leben der Deutschen und deren Nachkommen in Chile selbst befasse, liegt hier der Fokus auf zwei Ländern: Sowohl Deutschland als auch Uruguay sind Schauplätze des Romans, der die Geschicke dreier Generationen über ein halbes Jahrhundert hinweg verfolgt.
2. Uruguay ist nicht gerade ein prominentes Reiseziel. Woher kommt Dein Interesse für dieses Land?
Verglichen mit Argentinien, Chile oder Brasilien ist Uruguay landschaftlich bei weitem nicht so spektakulär und vielfältig. Abgesehen von einigen schönen Stränden, hat es nicht sonderlich viel zu bieten, womit man einen Hochglanzreisekatalog bestücken kann: Weder atemberaubende Gebirge noch exotische Dschungel oder beeindruckende Seen. Aber gerade die Kargheit der Steppenlandschaft, die so gar kein Postkartenidyll verspricht, macht für mich seinen Reiz aus. Das lässt sich schwer erklären, am ehesten vielleicht damit, dass ein Stück Butterbrot köstlich schmecken kann, wenn man zuviel Cremetorte verzehrt hat, oder dass ein räudiger Mischlingshund manchmal mehr Charme hat als sein reinrassiger Artgenosse.
Abgesehen von seiner Landschaft finde ich Uruguays Geschichte sehr faszinierend, hat es dieses Land doch geschafft, trotz innerer und äußerer Konflikte, vor allem aber trotz der Gelüste der Nachbarländer, es ihrem Gebiet einzuverleiben, seine Unabhängigkeit zu bewahren.
3. Im 19. Jahrhundert gab es einen regen Austausch zwischen Deutschland und Südamerika – sei es durch Auswanderer, sei es aufgrund von wirtschaftlichen Interessen. Wie erklärst Du Dir diesen Austausch, diese Faszination?
Man darf die Gründe, die dazu führten, keinesfalls verklären. Damals stand weniger eine Sehnsucht nach fremden Ländern oder die Bereitschaft zum kulturellen Austausch im Vordergrund, sondern wirtschaftliche Überlegungen: Die Auswanderer wollten oft der Notsituation in ihrer Heimat entkommen, die Kaufleute wiederum die Möglichkeit nutzen, sich durch die Erschließung neuer Märkte zu bereichern – ihnen ging es folglich vor allem um Geld und Macht. Die negativen Folgen, die heute Globalisierung und ungezügelter Kapitalismus zeitigen, lassen sich auch damals schon beobachten, und der Blick auf fremde Kulturen war nicht selten von Arroganz und dem Glauben an die eigene Überlegenheit geprägt. Dennoch: Es gab auch damals immer wieder Menschen, die der „Blick über den eigenen Tellerrand“ mit Neugierde, ehrlichem Interesse und auch eine gewisse Demut erfüllt hat, die also damals schon wussten, dass es um den Dialog geht, nicht um Dominanz.
Im Laufe des 19. Jahrhundert ist die Welt ohne Zweifel „kleiner“ geworden und die internationalen Beziehungen enger, und trotz aller Gefahren bot das doch auch die Chance, die eigene Identität zu hinterfragen – eine Aufgabe, die die Protagonisten meines Romans allesamt zu leisten haben.
4. In Deinen Romanen spielen immer starke Frauen mit „Ecken und Kanten“ eine große Rolle. Absicht oder Zufall?
Ich finde es unheimlich spannend, mehrdimensionale Charaktere mit all ihren inneren Kämpfen und Ambivalenzen auf ihrem Weg zu sich selbst zu begleiten. Niederlagen, Fehler Enttäuschungen gehören zum Leben dazu, und natürlich hinterlässt das alles Wunden, doch sich damit zu versöhnen, ja, daran zu wachsen, halte ich für einen ganz wesentlichen Schritt im Leben. Natürlich gelingt das nicht jedem gleich gut, und der Kampf gegen innere Dämonen oder äußere Widrigkeiten geht nicht ohne Blessuren ab, aber „stark“, so wie ich es definiere, ist man nicht, weil man so viele Stärken hat, sondern weil man seine Schwächen erkennt und damit umgehen kann.