Selten hatte beim Finden eines Romanthemas der Zufall die Hände derart im Spiel wie bei diesem Buch. Es war Zufall, dass ich in der kurzen Pause während einer Fernsehproduktion ein Kölner Starbucks Café besuchte. Es war Zufall, dass mir dort eine – schon ziemlich zerfledderte – Frauenzeitschrift in die Hand fiel (die ich mir wohl nie willentlich gekauft hätte). Und es war Zufall, dass mein Blick beim oberflächlichen Durchblättern ausgerechnet auf jenen Artikel fiel, dessen Überschrift da lautete: ‘Aschenputtels wahre Geschichte’. Erstmals erfuhr ich vom außergewöhnlichen Leben der Merowingerkönigin Bathildis, das tatsächlich ein Märchenhaftes zu sein schien: von einer angelsächsischen Fürstentochter war da die Rede, die einfallende Wikinger aus ihrer Heimat verschleppten; von einer Sklavin, die König Chlodwig II. zu seiner Gemahlin machte; von einer Königin und späteren Regentin, die ihre Herkunft nicht vergaß und ein für ihre Zeit außergewöhnliches soziales Engagement entfaltete.
Obwohl ich eigentlich einen anderen Romanstoff realisieren wollte, fesselte mich dieses Thema derart, dass ich rasch entschied: Mein nächstes Buch sollte das Leben dieser so außergewöhnlichen Herrscherin erzählen, die viele Zeitgenossen – nicht zuletzt den eigenen Gatten – in den Schatten gestellt hat.
Die Zeit der Merowinger war mir – bis auf jene Kenntnisse, die man als studierte Historikerin eben mal mitgenommen hat – weitgehend fremd. Erste Recherchen zu Bathildis waren entsprechend ernüchternd. Dass das vermeintliche „Happy–End“ von Bathildis’ Leben ausblieb war hierbei nicht das Problem – jedoch umso mehr, dass ihr Leben für mich lange Zeit schwer fassbar war: Sämtliche Originalquellen zeichnen ein subjektives Bild. Entweder ist von einer außergewöhnlich frommen, ja schon fast überirdisch guten Heiligen die Rede oder von der grausamen Herrscherin, die ihrem berüchtigten Major Domus Ebroin um nichts nachstand. Erst mit der Zeit erkannte ich, dass sich gerade aus dieser Spannung, aus diesem Widerspruch – zwischen herzensgut, fromm und machthungrig, brutal – der ambivalente, in vielem zerrissene Charakter meiner Protagonistin entwickeln ließ.
Zudem war es anfangs sehr verstörend für mich, eine nähere Bekanntschaft mit dem Herrschergeschlecht der Merowinger zu machen. Dass dieses zu einem der blutrünstigsten Europas gehörte, war mir bekannt. Von einzelnen Gräueln zu lesen – gerade, was brutalste Morde innerhalb der Familie anbelangte – war allerdings sehr abstoßend.
Trotzdem begann mich diese Zeit auch zu faszinieren – nicht zuletzt, weil sie eine Schnittstelle zwischen Antike und Mittelalter darstellt. Viele Schilderungen des damaligen Alltagslebens zeugen vom Einfluss des römischen Reichs, der erst mit der Zeit verblasste. Und als Theologin fand ich es besonders spannend auf eine Kirche zu stoßen, deren Strukturen in vielem so gar nichts gemein mit der heutigen hatte – betrachtet man z.B. die Tatsache, dass manche Bischöfe verheiratet waren und bei den Königen die Mehrehe geduldet wurde, letzteres vor allem darum, weil die Ehe noch lange keinen sakramentalen Status besaß.
Für mich war es bei diesem Roman – wie bereits bei der „Chronistin“ – wichtig, Originalschauplätze kennenzulernen, auch wenn jene Zeit kaum Spuren im heutigen Stadt- und Landschaftsbild hinterlassen hat. Ein Drittel des Buchs entstand während eines mehrwöchigen Aufenthalts in Paris (wo ich bereits für meinen Roman „Die Chronistin“ recherchierte). Ich habe auch diverse Ausflüge gemacht: z.B. nach Étaples-sur-Mer, wo man das damalige Quentovic vermutet – der Ort, wo in meinem Buch Bathildis als Sklavin verkauft wird -, auch in das Gebiet um Saint-Wandrille und Jumièges, wo der Major Domus Erchinoald offenbar reiche Besitzungen hatte. Am beeindruckendsten war für mich der Ausflug nach Chelles, wo Bathildis ein Kloster gegründet und ihren Lebensabend verbracht hat. Nicht nur, dass ein Kindergarten, eine Kapelle und eine Straße von ihr ihren Namen erhalten haben. Zudem werden in der Kirche Saint-André, die sich offenbar an gleichem Ort wie einst das Kloster, ihre Reliquien verehrt.
So sehr ich auch darauf Wert lege, meine – weitgehend doch fiktive Romanfigur – von der „historischen Bathildis“ abzugrenzen, nicht zuletzt, weil von letzterer viele Lebensdaten im Dunkeln liegen, so war dieser Besuch der echten Wirkungsstätten, doch sehr inspirieren und ein wichtiger Schritt, um meiner Protagonistin Leben einzuhauchen.”