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Riviera – Making of

Fast so groß wie meine Leidenschaft fürs Schreiben ist meine Liebe zum Reisen. Deswegen war es nur eine Frage der Zeit, bis ich die Geschichte des Reisens – oder ganz konkret die Geschichte eines Frankfurter Reiseunternehmens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – zum Thema eines meiner Bücher machen würde.
Wohin die Reisen, die dieses fiktive Reisebureau anbieten würde, führen würden, war auch relativ schnell klar. Ein in den 20er-Jahren höchst beliebtes Reiseziel war die Riviera – und diese ist auch für mich ein ganz besonderes Fleckchen Erde, in das ich mich während mehrerer Aufenthalte verliebt habe.
In der Zeit, in der mein Roman beginnt, findet ein großer Umbruch des Tourismus an die Riviera statt: Bis dahin zogen mondäne Orte wie Nizza, San Remo oder Monte Carlo vor allem die Superreichen an und das im Winter, galt die Sommerhitze am Mittelmeer doch als unerträglich und das Bad im Mittelmeer gar als gesundheitsschädlich (Gerüchte besagten, dass Nieren, Kreislauf und Zahnfleisch in arge Mitleidenschaft gezogen werden würden). Doch nach mehreren verregneten Sommern in der Normandie setzte ein Umdenken ein. Spätestens 1931 öffneten sämtliche Hoteliers ihre Häuser auch im Sommer. Hinzu kam ein sozialer Wandel: Nicht länger nur Adelige und Millionäre waren die Zielgruppe, auch der normaler Bürger, der in Luxusresidenzen, sondern in preiswerteren Unterkünften – oder auch der ersten Zeltstadt nahe Saint-Tropez residierte.

So groß mein Interesse für die Geschichte des Reisens war – was mich eigentlich drängte, diesen Zweiteiler zu schreiben, waren vor allem die politischen Hintergründe. Denn der „Geist des Reisens“ wurde ebenso wie vermeintlich paradiesische Orte, deren Namen für das Dreigestirn „Sommer, Sonn, Meer“ stehen und natürlich auch für südländische Leichtigkeit und Lebensfreude, zunehmend vom raumgreifenden Faschismus vergiftet. Zunächst warf dieser besonders an der italienischen Riviera einen Schatten auf den fröhlichen Urlaubsalltag: Die Zusammenarbeit mit internationalen Reisebureaus endete z.B. 1928 abrupt, als das faschistische Regime allen italienischen Hotels und Tourismusunternehmen eine klare Weisung erteilte, die Beziehungen mit selbigen abzubrechen.
Zwei Jahre nach der Machtergreifung der Nazis wurde es deutschen Urlaubern überdies nahezu unmöglich gemacht, die französische Riviera, ja generell Frankreich zu bereisen: Deutsche durften nämlich keine Devisen mehr für Privatreisen nach Frankreich erwerben.
Dass dennoch viele Deutsche in diesen Jahren die Côte d’Azur bevölkerten, hatte denn auch nichts mehr mit dem Tourismus zu tun, sondern mit der massenhaften Emigration. Insbesondere das kleine Fischerdorf Sanary-sur-mer – nach dem Ersten Weltkrieg von Intellektuellen und Künstlern aus Europa als Urlaubs- und Wohnort entdeckt – wurde nach 1933 zum Zufluchtsort vieler deutscher Künstler und Intellektueller, die sich im Exil eine neue Existenz aufbauen mussten. Noch heute erinnert eine Gedenktafel daran, dass Sanary zeitweise als „Hauptstadt der deutschen Literatur“ galt.

Im Herbst 1938 spitzte sich die Situation der Emigranten zu. In Nachahmung der Rassenpolitik Hitlers erließ Mussolini neue Gesetze, wonach sämtliche seit 1919 ansässigen Juden in Italien aufgefordert wurden, das Land zu verlassen. Vielen blieb keine Wahl, als auf winzigen Fischerbooten die illegale Flucht nach Frankreich zu wagen – was dort prompt die Fremdenfeindlichkeit ansteigen ließ. Für die nationalistische Parteien ging die Rechnung „Pro antisemitische Äußerung – ein Wählerstimme mehr“ leider nur allzu gut auf.
Selten hat mich beim Schreiben die Aktualität so stark eingeholt. Ich saß an Kapiteln, in denen ich diese lebensgefährliche Flucht jüdischer Familie auf überfüllten Booten übers Mittelmeer schilderte, während dort bis heute Flüchtlinge ertrinken und Seenotretter als Kriminelle diskreditiert werden.
Jenen Flüchtlingen hat der Maler Henry Gowa übrigens mit dem Bild „Les Naufragés“ – „Die Schiffbrüchigen – ein Denkmal gesetzt.

Für viele jüdische Emigranten begann ein Wettlauf mit der Zeit, galt es doch nun die begehrten Visen nach Übersee zu erlangen. Nicht alle schafften es bis Kriegsbeginn, Frankreich zu verlassen. Mit Kriegseintritt wurden die meisten von ihnen als „sujets ennemis“, als „feindliche Subjekte“ in Lager interniert. Der demokratische französische Staat schuf solcherart jene Infrastruktur, die es den Nazis später erlaubte, erst die ausländischen Juden, danach auch die französischen in die Vernichtungslager im Osten zu deportieren.
Nie hat mich, die ich mich schon mit vielen dunklen Kapiteln der Weltgeschichte beschäftigt habe, die Recherche so erschüttert, nie saß ich mit so viel Tränen in den Augen in der Deutschen Nationalbibliothek, als an den Tagen, da ich mit mit den Deportationen von Les Milles, einem Vorort von Aix-en-Provence, im August 1942 beschäftigte: Die jüdischen Familien, die von hier nach Auschwitz deportiert wurden, wurden vor eine schier unmögliche Entscheidung gestellt: Mitarbeiter amerikanischer Hilfswerke boten ihnen an, zumindest ihre Kinder im Alter von zwei bis sechzehn Jahren zu retten und nach Amerika zu bringen – allerdings unter der Voraussetzung, dass sie sich augenblicklich von ihnen trennten. Eine unmenschliche, unvorstellbare Entscheidung.

Ungeachtet der Gräueltaten blieb die Riviera auch während des Krieges ein touristischer „Hotspot“. An der Côte d’Azur stationiert zu werden, galt als Auszeichnung für besonders verdiente Soldaten an der Ostfront. Viele Restaurants, Hotels und Strandkioske nahmen für sie ihren Betrieb wieder auf, trotz Besatzung herrschte so etwas wie Urlaubsstimmung.
Das galt auch für die Soldaten, die in Saint-Tropez, wo man eine Kommandantur einrichtete, stationiert waren – ein zentraler Schauplatz meines Romans, dessen Zukunft im August 1944 allerdings auf dem Spiel stand. Nicht lange nach der Invasion in der Normandie erfolgte damals der Einmarsch der Alliierten in die Provence, und der Golf von Saint-Tropez war hierfür einer der wichtigsten Landungsabschnitte. Vor ihrem Rückzug, so der Befehl, sollten die Deutschen das Fischerdörfchen zerstören …

Was als ein Roman übers Reisen begonnen hat, ist am Ende also so viel mehr geworden – ein Plädoyer nämlich für all das, was letztlich die Voraussetzung fürs Reisen ist: die Bereitschaft, über den Tellerrand zu schauen, offen auf Fremde zuzugehen, Grenzen zu überwinden, vor allem aber den Friede zwischen den Völkern zu wahren. In kaum einem anderen Buch habe ich meine eigenen politischen Überzeugungen, v.a. mein Bekenntnis zu einem freien, demokratischen Europa so stark zwischen den Zeilen einfließen lassen. Ich habe all meine Romane gerne geschrieben, und doch gibt es solche, die einen Sonderstatus innehaben und an die ich mich immer als meine „Lebensbücher“ erinnern werde. „Riviera – Der Traum vom Meer“ und „Riviera – Der Weg in die Freiheit“ zählen dazu.