Press enter to begin your search
 

Emma Döltz

„Uns geht es nicht um Gnade, die man Kindern angedeihen lässt, uns geht es um Rechte, die ihnen zustehen.“

Es ist spät abends im Armenhaus von Berlin-Steglitz. Über eine Kerze gebeugt sitzt Emmas Mutter und näht an Pantoffeln – die einzige Möglichkeit, sich und ihre Kinder über Wasser zu halten, nachdem der Mann schwer erkrankt ist ist.
Früh lernt die kleine Emma so die Nöte von Müttern kennen und auch wie schutzlos die meisten Kinder sind. Anfangs hilft sie bei den Näharbeiten, im Alter von vierzehn Jahren nimmt sie die Arbeit in einer Stahlfederfabrik auf: Wie vielen Kinder, oft sogar noch jüngeren, bleibt ihr keine andere Wahl, um das Familieneinkommen aufzubessern.

Später lernt sie dort den Fabrikarbeiter Richard Döltz kenne und lieben, nach der Hochzeit 1894 bekommen sie drei Kindern: Erna, Charlotte und Erich. Doch Emma muss das Schicksal ihrer Mutter teilen: Der karge Lohn des Mannes reicht nicht, um die Familie zu ernähren, weswegen sie bis spät in die Nacht hinein Näharbeiten durchführt. Auch so bleibt nicht genug Geld, um ihren Kindern eine höhere Schulbildung zukommen zu lassen, obwohl das insgeheim ihr größter Wunsch ist.

Emma betrachtet Armut aber nicht als gottgegebenes Schicksal, als Schande oder gar als Folge eigenen Versagens wie viele Zeitgenossen es tun. Sie ist eine Frau mit scharfem Intellekt, blühender Fantasie und großem Gerechtigkeitssinn. Alsbald beginnt sie, sich politisch zu engagieren. Eine Rede des SPD-Politikers und Reichstagsabgeordneten Paul Singer über die Lage der Frauen erweist sich als Initialzündung. Emma lauscht bewegt, wird überzeugte Sozialistin und findet in der proletarischen Frauenbewegung die Möglichkeit, selber eine politische Karriere zu machen: Erst ist sie Funktionärin der Berliner SPD, später wird sie Mitglied des Bezirksvorstandes.
Immer wieder macht sie sich in diesen Ämtern für Frauenrechte stark, doch ein Thema, das ihr besonders am Herzen liegt, ist der Schutz von Kindern.

Die systematische Ausbeutung von schon ganz kleinen Kindern aus Arbeiterfamilien ist im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht ungewöhnlich: Schon sechsjährige haben oft zehnstündige Arbeitstage. Die Schule zu schwänzen, um stattdessen etwas zum Familieneinkommen beizutragen, ist eher Regel als Ausnahme.
Doch es gibt immer wieder Versuche, der Kinderarbeit rechtliche Grenzen zu setzen: Nachdem das Bürgerliche Gesetz 1896 Strafen für Eltern einführt, die ihre Kinder misshandeln oder sich nicht ausreichend um sie kümmern, wird 1903 das Kinderschutzgesetz verabschiedet. Dessen Einhaltung wird allerdings nur sehr nachlässig überprüft. Polizisten und Behörden drücken bei Zuwiderhandlung oft ein Auge zu.

Umso wichtiger sind darum die sogenannten Kinderschutzkommissionen, die Emma Döltz mitbegründet und bei denen vor allem sozialdemokratische Frauen mitarbeiten: Im Jahr 1911 gibt es bereits 135 von ihnen, und sie machen es sich zur Aufgabe, die Einhaltung der Gesetzesvorschriften zu überwachen.
Emma arbeitet eng mit Gewerkschaften zusammen, um Fälle von Kinderausbeutung anzuzeigen. Überdies schreitet sie ein, wann immer es Gerüchten von Kindermisshandlung und -verwahrlosung in den Familien nachzugehen gilt. Nicht minder wichtig ist ihr eine umfangreiche Informationspolitik: Mit Hilfe von Flugblättern oder Zeitungsartikeln klärt sie darüber auf, wie man mit Kindern richtig umgeht, und wirbt dafür, dass die Eltern auf die Erwerbsarbeit ihrer Kinder verzichten. In Kinderhäusern werden Kinder während der Arbeitszeit der Mutter gut betreut, und ein ganz besonderes Anliegen von Emma ist die Schaffung von Bildungsmöglichkeiten für begabte Arbeiterkinder.

Aus den Kinderschutzkommissionen geht in der Weimarer Republik die sogenannte Arbeiterwohlfahrt hervor, für die sich Emma Döltz ebenfalls von Anfang an als zweite Vorsitzende engagiert.
Das Ziel der Arbeiterwohlfahrt ist es zwar, generell die Lebensbedingungen von Arbeitern zu verbessern, doch auch hier liegen ihr Schutz und die Förderung von Kindern besonders am Herzen.
Einher geht Emma Döltz’ praktisches Engagement mit ihrer schriftstellerischen Tätigkeit. Ab 1894 erscheinen regelmäßig Texte von ihr in sozialdemokratischen Zeitschriften. Neben sachlichen Berichten verfasst sie gerne Gedichte und Kurzgeschichten, viele von ihnen speziell für Kinder. So wird im Jahr 1900 eine Auswahl dieser Texte unter dem Titel „Jugend-Lieder“ veröffentlicht.
Charakteristisch ist hierbei der optimistische Grundton. Emma glaubt fest an eine bessere, von sozialistischen Idealen geprägte Zukunft und setzt dabei nicht zuletzt auf die Kinder: Wenn deren Rechte ernstgenommen werden, so ihre Überzeugung, werden sie irgendwann am Aufbau einer gerechten Gesellschaft mitwirken.

Emma Döltz muss leider zusehen, wie dieser Traum zunächst zerplatzt: Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht ergreifen, endet ihr politisches Engagement abrupt. Doch sie überlebt den Krieg und wird 1945 wieder in der SPD aktiv. Als sie 1950 84-jährig in Fulda stirbt, weiß sie, dass ihre drei Kinder, die sie im Geist des Sozialismus erzogen hat, ihr Werk weiterführen.

Ihre Weggefährtin Marie Juchacz schreibt über sie: „Was für ein Mensch hätte sie werden können, wenn ihr alle geistigen und seelischen Entfaltungsmöglichkeiten gegeben worden wären, auf die junge Menschen einen moralischen Anspruch haben?“ Doch auch mit ihren begrenzten Möglichkeiten hat Emma Döltz es geschafft, ihr Leben in den Dienst der Kinder zu stellen und der Kinderrechtsbewegung in Deutschland wichtige Impulse zu geben.