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Making-of “Die Farbe des Nordwinds”

Ich bin ein wenig aus der Art geschlagen: Zwar habe ich von Geburt an einen österreichischen Pass, aber scheinbar haben sich in meine DNA auch ein paar norddeutsche Gene gemischt.
Der obligatorische Bergurlaub war für mich schon als Kind kein Vergnügen. Insbesondere im Winter mochte ich nicht recht einsehen, warum man sich mit dem Lift zum Gipfel hochziehen lässt, obwohl man, sobald man mit den Skiern heruntergefahren ist, doch wieder am Ausgangspunkt landet. Stattdessen sehnte ich mich immer nach einem Ort, wo der Blick zum endlosen Horizont von keinen grauen Felsen verdeckt wird – dem Meer.

Zugegeben, meine erste Begegnung mit der Nordsee war etwas beängstigend. Sie fand nämlich in Form einer Verfilmung von Theodor Storms „Schimmelreiter“ statt, und in der Szene, in der Hauke Haien von der tobenden Sturmflut mitgerissen wird, habe ich mir sicherheitshalber die Augen zugehalten. Als mein Bruder wenig später mit seiner Schulklasse eine Exkursion auf die Halligen machte und ich das erste Mal von den Marschinseln im nordfriesischen Wattenmeer hörte, fand ich die Vorstellung bei regelmäßigen Landunter von den Wassermassen eingeschlossen zu sein, ebenfalls gruselig. Schon eher gefallen hat mir, dass die Kinder in dieser Zeit nicht zur Schule gehen können.
Und doch begann Mitte zwanzig, als ich während eines Literaturstipendiums des Landes Schleswig-Holstein drei Monate lang WO? lebte, eine große Liebesgeschichte zwischen mir und einer Landschaft, wo die Wolken die Erde zu berühren scheinen, das Meer selten strahlend blau, meist silbergrau wogt, Möwengekreisch die Backgroundmusik prägt und der Wind so gut wie nie stillsteht.

Damals habe ich erstmals selbst eine Hallig betreten und rasch begriffen, dass das, was mir einen tiefen Seelenfrieden schenkte, keine heile Welt ist, vielmehr ein Ort, wo sich häufig Katastrophen zugetragen haben. Eine dieser Katastrophen war die große Halligflut im Jahr 1825, bei der viele Halligen für immer vom Meer verschluckt wurden – der Anblick eines Holzpfostens, der den damaligen Pegelstand anzeigte, hat mich tief berührt.
Viele Jahre später – mittlerweile war ich längst eine erfolgreiche Autorin – las ich einen Zeitungsartikel darüber, was der Klimawandel für die Halligen bedeutet: Einerseits sind diese möglicherweise das erste Gebiet Deutschlands, das unterzugehen droht, wenn der Meeresspiegel weiter steigt. Andererseits könnte gerade eine ihrer Eigenheiten sie davor bewahren – dass sich nämlich bei jedem Landunter Sedimente ablagern, und die Marschinseln folglich mit dem Meer mitwachsen.
Diese interessanten Informationen verbanden sich mit der Erinnerung an vergangene Eindrücke – und heraus kam ein … Romanplot.

So ist „Die Farbe des Nordwinds“ entstanden, in deren Mittelpunkt zwei Halliglehrer stehen: Arjen Martenson, der im 19. Jahrhundert unermüdlich für einen besseren Halligschutz wirbt und die große Halligflut bezeugt. Und Ellen, die nach einer gescheiterten Beziehung und einem Jobverlust als Halliglehrerin einen Neuanfang wagt und für die der Kampf um die Zukunft der Halligen ebenfalls bald eine große Rolle spielt.

Bei den Recherchen für den Handlungsstrang in der Vergangenheit konnte ich meiner großen Leidenschaft für Geschichte frönen, die mein Leben von klein auf geprägt hat (schon als Kind konnte ich keiner Burgruine widerstehen). Besonders faszinierend war für mich, wie hart und entbehrungsreich das Alltagsleben auf den Halligen vor knapp 200 Jahren einerseits war – man konnte den kargen Landstrichen nur unter Mühen das Lebensnotwendige abringen -, dass aber andererseits dennoch ein Sinn fürs Schöne das Leben prägte: Aus Walrosszähnen stellte man z.B. winzige Nähkästchen her, in die man mit winzigen Nadeln kunstvolle Muster ritzte. An den Wänden hingen farbenprächtige Fliesen, oft mit Seemannsmotiven. Die – teilweise roten – Hauben, die die Frauen beim Gottesdienst trugen, waren mit aufwändigen Stickereien versehen.

Nicht weniger begeistert habe ich mich dem Gegenwartshandlung gewidmet, zumal dieser viel mit meiner persönlichen Geschichte zu tun hat. Die Protagonistin ist wie ich studierte Lehrerin, und obwohl ich diesen Beruf nie ausgeübt, sondern mich früh für eine Laufbahn als Fernsehjournalistin und später als Autorin entschieden habe, ist die Vorstellung für ein paar Monate in einer Halligschule zu unterrichten, doch eine sehr reizvolle. Die Schüleranzahl ist dort ziemlich überschaubar – auf einer der Halligen wird im Moment gerade mal ein Schüler unterrichtet. In meiner 10jährigen Tochter hat das übrigens großes Entsetzen hervorgerufen hat, weil besagter Schüler „ja dann nie schwätzen oder abschreiben kann“!

Das andere Thema, das mich sehr bewegt hat, ist Ellens Suche nach einer Heimat. Ich habe zwar nie auf einem einsamen Eiland einen Neuanfang gewagt, aber seinerzeit Österreich verlassen, um in Frankfurt meine journalistische Karriere zu starten – einer Stadt, die ich bis dahin kaum kannte und in der ich weder Familie noch Freunde hatte. Im ersten Jahr habe ich vor allem die klassischen österreichischen Gerichte wie Kaiserschmarrn und Topfenknödel vermisst, mit den Jahren kam immer stärker das Gefühl hinzu, dass die Wurzeln fehlen. Von daher kenne ich einerseits die Verheißung, die darin liegt, auf die Reset-Taste des Lebens zu drücken und sich aus dem Nichts eine neue Existenz aufzubauen. Andererseits weiß ich auch, welch langen Atem es braucht, bis man wirklich an einem Ort angekommen ist.

Diesen Roman zu schreiben, war für mich also eine spannende Reise, die auf die Halligen von einst und jetzt führte und mich zugleich einige Kapitel meiner eigenen Biographie rekapitulieren ließ. Auf diese Reise möchte ich gerne viele Leserinnen mitnehmen und in ihnen die Liebe zu einer Welt entfachen oder bestärken, die von keiner zarten, lieblichen, aber – wie ich finde – herben und echten Schönheit ist.