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Ugolino in Dantes Inferno

Ugolino della Gherardesca ist durch die Darstellung seines Schicksals in Dantes „Göttlicher Komödie“, genauer gesagt dem 33. Gesang des Infernos, unsterblich geworden. In dieser Szene trifft Dante ihn in der Hölle, wo er seine Zähne in das Genick des gleichfalls anwesenden Erzbischof Ruggiero schlägt. Unter Tränen berichtet Ugolino, wie er, als seine Kinder und Enkel entkräftet verstorben waren, sich nicht zurückhalten konnte, gierig ihre Leichen zu verspeisen. Dante stellt die Geschichte einerseits als Beispiel für Hass, Untreue und Verrat aus maßlosem Ehrgeiz dar. Zugleich klingt ein gewisses Mitleid mit der Familie Gherardesca an, haben sich aus Florentiner Sicht doch vor allem die Pisaner schuldig gemacht.

Einen Teil des Textes habe ich am Originalschauplatz – nämlich der „Muda“ oder vielmehr dem heutigen Palazzo dell’Orologio – rezitiert, wie das Video oben zeigt.
Das ganze Kapitel können Sie hier nachlesen:

Dreiunddreißigster Gesang

Vom grauenhaften Mahl erhob der Sünder
Den blut’gen Mund und wischt ihn an den Haaren
Des Schädels ab, den hinten er zerfleischt;
Dann sprach er: Du begehrst, daß ich erneue
Den wilden Schmerz, den mir schon in Gedanken
Das Herz abpreßt, noch eh’ ich von ihm rede;
Doch, soll mein Wort zum Samenkorne werden,
Aus welchem Schande keimt für den Verräter,
Den ich benagt, so will ich weinend sprechen.
Ich weiß nicht wer du bist, noch welchen Weges
Hierher du kamst, doch hör’ ich deine Rede,
So dünkst du wahrlich mir ein Florentiner.
So wisse denn, ich war Graf Ugolino
Und dieser ist der Erzbischof Ruggieri;
Warum ich solch ein Nachbar bin vernimm nun.
Daß ich infolge seiner schlauen Tücken
Gefangen ward, weil ich ihm Zutrau’n schenkte,
Und dann getötet, darf ich nicht erst sagen;
Allein was niemand dir berichten konnte,
Wie grausam meines Todes Art gewesen,
Das hör’, und sprich dann ob mein Haß gerecht ist.
Schon hatte manchen Mond das schmale Lichtloch
Des Kerkers, der nach mir der Hungerturm heißt,
Und andre künftig noch einschließen wird,
Durch seine Öffnung mich erblicken lassen,
Als mir der Schlaf das böse Traumbild brachte,
Das von der Zukunft mir den Schleier riß.
Als Herrn und Meister sah ich diesen hier
So Wolf als Wölflein jagen auf dem Berge,
Der die Pisaner nicht bis Lucca sehn läßt.
Es ritten vor ihm her mit einer Meute
Von magren Hündinnen, die gierig spürten,
Sismondi, nebst Gualandi und Lanfranchi.
Ermüden sah ich schon nach kurzem Laufe
Den Vater wie die Jungen; ihre Weichen
Sah ich der Rüden scharfen Zahn zerreißen.
Als ich erwacht war eh’ der Morgen graute,
Hört’ ich im Schlafe meine Kinder weinen,
Die mit mir waren, und nach Brot verlangen.
Hartherzig bist du, wenn du nicht schon mitfühlst,
Erwägst du was mein banges Herz nun ahnte;
Und, weinst du nicht, um was pflegst du zu weinen?
Auch sie erwachten, und die Stunde nahte,
Zu der man Nahrung uns zu reichen pflegte,
Und seines Traumes dachte jeder sorgend.
Vernageln hört’ ich da den untren Ausgang
Des grauenvollen Turmes, und ich schaute
Sprachlos darum in meiner Kinder Antlitz.
Ich weinte nicht, so sehr erstarrt’ ich innen;
Sie aber weinten und mein Anselmuccio
Rief aus: Du blickst so, Vater, sprich, was ist dir? –
Und dennoch weint ich nicht und gab nicht Antwort
Den ganzen Tag nicht und die Nacht die folgte,
Bis abermals der Welt die Sonne aufging.
Als etwas Licht bis in den Schmerzenskerker
Gedrungen war, und ich die eignen Züge
In vier Gesichtern abgespiegelt sah,
Biß ich vor Jammer mir die beiden Hände
Da richteten, im Wahne, daß, nach Speise
Verlangend, ich’s getan, sie schnell sich auf
Und sagten: Vater, glaub’, es schmerzt uns minder,
Wenn du von uns dich nährst; bekleidet hast du
Mit diesem armen Fleisch uns, nimm es wieder! –
Und ich bezwang mich, ihren Schmerz zu mildern;
Stumm blieben diesen Tag wir und den nächsten.
Was tat’st du dich nicht auf, grausame Erde?
Als wir gelangt zum vierten Tage waren
Warf Gaddo sich mir ausgestreckt zu Füßen.
Und rief: Mein Vater, warum hilfst du nicht? –
So redend starb er, und, wie du mich siehst,
Sah ich vom fünften bis zum sechsten Tage
Die drei hinsinken, einen nach dem andren.
Schon blind, tappt’ ich von Leiche dann zu Leiche
Und rief zwei Tage sie nach ihrem Tode,
Bis, was kein Schmerz vermocht, der Hunger tat. –
Als er geendet, faßt’ er stieren Blickes
Den armen Schädel mit den Zähnen wieder,
Die, Hundeszähnen gleich, sich hart bewährten.
O Pisa, Schande du des Menschenstammes
Im schönen Lande, wo das sì ertönet!
Wenn deine Nachbarn dich zu strafen säumen,
So soll Caprara und Gorgona kommen,
Den Arno an der Mündung aufzustauen.
Um zu ersäufen, was in dir nur atmet.
Verklagte das Gerücht Graf Ugolino,
Daß an den Feind die Burgen er verraten,
So durftest du die Knaben doch nicht martern.
Von Schuld entband die Jugend, neues Theben,
Brigata, Uguccione und die beiden,
Die oben schon von meinem Lied genannt sind.