Wenn man die Stichworte „Renaissance“ und „Malerei“ hört, kommen einem sehr schnell alle möglichen Namen in den Sinn: Leonardo da Vinci und Michelangelo, Raffael und Tizian. Dass diese Ausnahmetalente waren, die diese Epoche der Kunstgeschichte prägten, ist nicht zu leugnen – schade ist nur, dass nicht mit gleicher Selbstverständlichkeit auch ein Frauenname hinzugefügt wird, obwohl dieser ebenfalls für eine der ganze Großen ihrer Zunft steht.
Sofonisba Anguissola (1530-1635) war zu ihren Lebzeiten sehr berühmt – im Darstellen des menschlichen Gesichts wäre sie, so Zeitgenossen, einzigartig gewesen. Gleichwohl teilt sie das Schicksal vieler begabter Frauen, die oft genauso talentiert wie ihre männlichen Kollegen waren, deren Werk aber trotzdem nicht ähnliche Unsterblichkeit erlangt hat. Von der Kunstgeschichtsschreibung ist sie fast vergessen worden, und wenn mein Roman es schafft, ein wenig von jenem Scheinwerferlicht auf sie zu lenken, das ihr zusteht, so hat er seinen Zweck erfüllt.
Natürlich würde ihr Leben – so reich an Begegnungen mit gekrönten Häupter, diversen Abenteuern, spannenden Reisen, Liebschaften und Prüfungen – Stoff für gleich mehrere Bücher bieten. Ich habe mich auf eine Episode aus ihren Jugendjahren beschränkt, nämlich eine Begegnung der jungen Künstlerin mit dem alternden Michelangelo.
Nun gut, dass sie sich wirklich persönlich kennengelernt haben, ist nicht belegt. Fest steht aber, dass Sofonisbas Vater Amilcare Anguissola, der alle seine Kinder, auch die Mädchen, entschieden förderte, zweimal mit Michelangelo korrespondierte, um eine Empfehlung für seine Tochter zu erhalten. Mit dieser, so die Hoffnung, würde sie an noch mehr Fürstenhöfen als ohnehin schon Aufträge für Porträts erhalten. Und in der Tat hat Michelangelo sie mit dem Bildnis eines „Jungen, der von einem Krebs gebissen wird“ beauftragt und sie dieses zu seiner Zufriedenheit vollendet.
Ob Sofonisba damals auch mitbekommen hat, was dem Künstler die letzten Lebensjahre oft vergällt hat? Der Bau des Petersdoms, insbesondere seiner riesigen Kuppel nämlich, für den er verantwortlich war, dessen Realisierung jedoch von so vielen Neidern und Intriganten erschwert wurde?
Dass nicht zuletzt ihretwegen die mit seinen Fresken ausgestattete Sixtinische Kapelle trotz aller zerstörerischen Pläne seiner Feinde erhalten blieb, wie ich es in meinem Roman schildere, ist jedenfalls ins Reich der Fantasie zu verweisen. Doch ganz sicher habe ich nicht übertrieben, wenn ich Sofonisba als mutige, eigensinnige Frau dargestellt habe, die ihrer Zeit in vielem und nicht nur als Künstlerin voraus war.
Das belegt nicht zuletzt mein Lieblingsgemälde von ihr. In meinem Buch spielt es keine Rolle, weil es erst 1559 entstanden ist, deswegen sei es an dieser Stelle kurz gewürdigt. Gemeint ist das Bild „Ruhe auf dem Weg nach Ägypten“. Die Heilige Familie – bestehend aus Maria, Josef und dem Jesuskind – war damals ein Motiv, um das kein Künstler herumkam. Ungewohnt, nahezu revolutionär ist jedoch, dass Sofonisba auf ihrer Version das etablierte Rollenverständnis hinter sich lässt. Es ist eines der ganz wenigen – und damals das erste – Gemälde, auf dem nicht Maria ihren neugeborenen Sohn auf dem Schoß hält – nein, sein (Stief)vater Josef. Liebevoll, fürsorglich und hingerissen wendet er sich ihm zu, scheint ganz versunken zu sein in den Anblick des Knaben, während Marias Körperhaltung deutlich distanzierter, nüchterner wirkt.
Ob Sofonisba damit ein Umdenken in Sachen familiärer Zuständigkeiten anstoßen wollte?
Nun, ganz sicher sollten wir umdenken, wenn wir die Stichwörter „Renaissance“ und „Malerei“ hören – uns dann nämlich ganz selbstverständlich auf Sofonisba Anguissola besinnen.