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Eine kurze Geschichte des Restaurants

Heute ist das kaum vorstellbar, aber wer im 18. Jahrhundert nach Paris reiste, genoss zwar Erfrischungen in den beliebten Cafés, ergötzte sich an der großartigen Architektur, schulte seinen Geist im Diskurs mit den großen Denkern der Aufklärung – aber wurde zwangsläufig vom Essen enttäuscht.

Wohlhabende Leute hatten ihren eigenen Koch – der Rest kehrte beim Traiteur ein, wo eine unfreundliche Behandlung, eintönige Menüs und zähes Fleisch auf der Tagesordnung standen. Glücklich war bereits, wer so ein Wirtshaus gesund verließ: Denn Kupfervergiftungen waren aufgrund mangelhaften Geschirrs weitverbreitet.

Doch ab der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde die körperliche Gesundheit zu einem zentralen Thema der Intellektuellen. Als Geistesmenschen galten sie schließlich als besonders gefährdet, an Verstopfung und Melancholie zu leiden, weswegen als Voraussetzung für ihre Denkleistung, sprich: für den geistigen Fortschritt eine entsprechende Diät angesehen wurde. Ohne Suppe keine Aufklärung, so lautete das Motto – denn kräftigende Consommés, Rebhuhnextrakt oder Säfte von leicht aromatisiertem Fleisch galten als so etwas wie der Energydrink für Philosophen und Literaten. Und weil diese Suppen die Gesundheit „restaurierten“, wurden sie gemeinhin „Restaurants“ genannt.

Was zunächst lediglich ein Gericht war, wurde dank einer findigen Geschäftsidee bald auch zu einem Ort.

Nachdem der umtriebige Geschäftsmann Mathurin Roze de Chantoiseau mit dem Ziel gescheitert war, durch eine grundlegende Reform des Finanzsystems das kranke Frankreich von seinen Schulden zu befreien, richteten sich seine Bemühungen auf den Körper des Individuums. Er eröffnete 1766 in Paris das erste Restaurant im Sinne eines „Hauses der Gesundheit“, wo vorzügliche Suppen rund um die Uhr, zu vernünftigen Preisen und in goldgerahmten Fayence-Schüsseln serviert wurden. 1780, als die Idee längst zahlreiche Nachahmer gefunden hatte, übernahm Chantoiseaus Geschäftspartnerin Anne Bellot sein Restaurant – einer der wenigen Frauennamen, den man inmitten der männlich geprägten Gastronomiegeschichte findet.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die ewig gleiche Suppe allerdings als zu langweilig für die Geschmacksnerven herausgestellt. Die Menüs der ersten Restaurants wurden nach und erweitert – um Reiscremes, Eierspeisen, Makkaroni, geschmortem Kapaun, Konfitüren und Kompotte. Überdies waren Restaurants mittlerweile nicht länger nur beliebtes Etablissement für Intellektuelle, die sich hier für geistige Höchstleistungen stärkten, sondern für zunehmend selbstbewusste Bürgerliche auf der Suche nach Geschmackserlebnissen, die im ancien régime dem Adel vorbehalten waren. Der Anspruch ans Niveau der Küche stieg folglich eklatant – und den erfüllten nur wahre Spitzenköche.

Einer von ihnen war Antoine Beauvilliers, der zunächst den Prinzen von Condé bekochte, dann den Bruder von Louis XVI. und sich schließlich als Restaurateur selbstständig machte.

Seine Grande Taverne de Londres, die 1782 in der Rue de Richelieu die Pforten öffnete, gilt als das erste Restaurant im heutigen Sinn, verbindet es doch vier wesentlichen Elemente der gehobenen Gastronomie: eine hervorragende Küche, einen eleganten Speisesaal, erfahrene Kellner und einen gut gefüllten Weinkeller.

Ebenfalls bezeichnend war die Verwendung einer umfangreichen Speisekarte – durch die insbesondere weibliche Besucherinnen gerne blätterten. Sie gehörten bald zu einer wichtigen Zielgruppe, fühlten sie sich in den diskreten Separées der Restaurants doch wohler als in den riesigen Gasträumen der Cafés.

Bald traf man an jeder Ecke in Paris auf ähnliche Etablissements. Kündigte die Gründung von zahlreichen Restaurants als Sinnbild für das wachsende Selbstbewusstsein und Teihabebedürfnis des bürgerlichen 3. Standes die Revolution quasi an, fand der erste Höhenflug der gehobenen Gastronomie aber erstmal ein Ende, als diese kam. Denn Gourmetküche galt nun nicht länger en vogue – getafelt wurde an sogenannten „brüderlichen Banketten“, wo man Gleichheit und Solidarität durch ein besonders schlichtes Mahl bekundete. Als perfektes Gericht für einen Patrioten und Republikaner galt fortan eins „sans apprêts“ (ohne Zubereitung) – meist Brot, Käse, Obst und Gemüse.

Und damit nicht genug: Als die radikaleren Kräfte Oberwasser bekamen, wurden Restaurants als Beleidigung der Republik und klarer Affront gegen die egalitäre Gastfreundschaft betrachtet. Die Sansculotten prangerten fast täglich den prunkvollen Überfluss der Restaurants an und forderten Polizeimaßnahmen, damit nur eine standardisierte, billige Kost auf den Tisch kam. In der Zeit des Terrors wurden diverse Restaurantbesitzer und Spitzenköche gar als vermeintliche Konterrevolutionäre, die die Nation aushungern würden, verhaftet.

Zu ihnen zählte auch Antoine Beauvilliers, der mehrere Monate im Gefängnis zubrachte, aber immerhin noch mit seinem Leben davonkam – anders als sein Kollege Gabriel Charles Doyen, der zehn Jahre für Marie Antoinettes Küche zuständig gewesen war, ehe er in Paris ein Restaurant gegründet hatte – und nun auf der Guillotine landete.

Mit dem Putsch gegen Robespierre am 27. Juli 1794 ging die radikalste Phase der Revolution zu Ende. Ganz Paris atmete kollektiv auf und wandelte sich zur Hauptstadt des Vergnügens, wo Frauen in durchsichtigen Empirekleider tanzten und winzige Spielzeughunden ebenso der letzte Schrei waren wie Ananaseis. Die Restaurants, die bald wieder eröffneten, entsprachen dem puren Hedonismus der Direktorenjahre mit gigantischen Austern und Trüffeln, aber auch saftigen Spanferkel, Kaninchenbraten und Bouillabaisse.

So gespalten die Gesellschaft in vielem war, in einem herrschte laut einem Zeitgenossen Einigkeit: „Einige wollten Robespierre und einige wollten einen König, aber was alle wollen, ist eine Regierung, in der sie essen können.“

Und ein Reisender, der um 1800 Paris besucht, stellte fest: „Die Konsequenz aus zehn Jahren Krieg und Revolution – das sind Restaurants, Restaurants, Restaurants!“

Sie würden von nun an nie wieder aus Paris verschwinden.